Mehrere Petitionen durch Arbeitnehmervertreter im Internet mit jeweils über 100.000 Unterschriften machten im Internet die Runde. Seit ein paar Wochen war es wieder aktuell: Das Beschäftigtendatenschutzgesetz. Es soll eine Verbesserung des Datenschutzes in der Arbeitswelt mit sich bringen und Rechtssicherheit für alle schaffen. Doch genau das ist es, was dem Gesetztesentwurf fehlt meinen Datenschützer und Gewerkschaften. Aber auch die Arbeitgeberseite kritisierte das Gesetzesvorhaben massiv. Exklusiv erfuhr GL Aktuell soeben aus dem Büro von Wolfgang Bosbach (MdB, CDU), dass man das Gesetz von der Tagesordnung abgesetzt habe. Zitat: „…weder im Innenausschuss am 30.01.2013, noch im Plenum des Bundestages am 01.02.2013 über den Gesetzenwurf zur Verbesserung des Beschäftigtendatenschutzes beraten und abgestimmt wird. Die Tagesordnungspunkte werden abgesetzt und die Beratungen – sowohl mit der Arbeitnehmer- als auch mit der Arbeitgeberseite fortgesetzt. Beide Seiten äußern – wenn auch mit zum Teil sehr unterschiedlichen Gründen und Motiven – Kritik an dem Entwurf und mit diesen kritischen Einwänden wollen wir uns ausführlich auseinandersetzen.“
Nun wird wohl ein Aufatmen durch die Nation gehen. Aber was bringt der aktuelle Gesetzesentwurf eigentlich mit sich? Leider konnten sich weder Wolfgang Bosbach (CDU) noch sein Gegenkandidat Michael Zalfen (SPD) zum aktuellen Entwurf positionieren. Michael Zalfen, gab an zu sehr mit Wahlkampf beschäftigt zu sein, während Wolfgang Bosbach um Verständnis bat den Gesetztestext erst nochmals genau lesen zu müssen.
Benedikt van Aacken von den Bergisch Gladbacher Piraten ist Jurist und hat sich mit dem Gesetztesentwurf genau beschäftigt. Ein Interview:
Frage GL-Aktuell: Wie beurteilst Du / Ihr das Gesetz?
Wir Piraten Bergisch Gladbach begrüßen ausdrücklich eine Überarbeitung des Beschäftigtendatenschutzgesetzes, allerdings nicht so und nicht jetzt.
Vorgeschobene Datenschutzskandale wie die bei LIDL, Telekom, Deutscher Bahn oder jetzt ALDI Süd sind nur deshalb ein Skandal, weil diese Firmen das bereits bestehende Datenschutzgesetz ignoriert haben. Würde es solche Skandale durch ein überarbeitetes Gesetz nicht mehr geben? Natürlich würde es sie auch weiterhin geben. Das ist Politikquatsch 1.0 und zwar mit dicker Propagandasoße.
Wir bemängeln zudem die mangelhafte Ausarbeitung und Qualität des Gesetzes. Nehmen wir die Überschrift von § 32 „Datenerhebung vor Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses“. Der Paragraph bezieht sich also ganz klar auf die Bewerbungsphase. In den nachfolgenden Abschnitten wird aber vom „Beschäftigten“ gesprochen. Unserer Meinung nach sollte ganz klar zwischen Bewerbern, also Menschen, die noch in kein Beschäftigungsverhältnis mit dem datenerhebenden Arbeitgeber eingetreten sind, und Beschäftigten, somit Menschen, die bereits mit dem datenerhebenden Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis unterhalten, unterschieden werden. Denn eine Datenerhebung von Bewerbern unterliegt grundsätzlich einem strengeren Maßstab als eine von bereits Beschäftigten. Gepfusche.
Es werden rechtlich irrelevante Begriffe wie „erforderlich“ verwendet. Der Begriff der Erforderlichkeit ist juristisch aus dem öffentlichen Recht bekannt. Jedoch in diesem Zusammenhang so nicht verwendbar. Damit ist dieser Begriff undefiniert und zu schwammig. Wann besteht eine Erforderlichkeit, d.h. unter welchen Voraussetzungen ist denn eine Erforderlichkeit gegeben? Somit ist dieser Begriff frei durch den Arbeitgeber interpretierbar und kann lediglich gerichtlich geklärt werden. Schlecht. Denn Gesetze sollten so konkret wie möglich sein, damit der Rechtsfriede gewahrt und gleichzeitig Rechtssicherheit geboten wird. Die vornehmliche Aufgabe eines Gesetzgebers.
Wenn diese handwerklichen Fehler und der grundrechtlich abzulehnende Punkt geändert würden, wäre dieser Entwurf für uns Piraten Bergisch Gladbach aber durchaus unterstützbar.
Frage GL-Aktuell: Was stimmt und was stimmt nicht, was die CDU uns erzählt?
Es stimmt, dass beispielsweise die Datenerhebung durch Arbeitgeber über Bewerber aus frei zugänglichen Quellen, wie aus sozialen Netzwerken oder aus einer Google-Suche, geregelt wird. Es stimmt aber nicht, dass dies positiv ist.
Der Arbeitgeber dürfte nämlich somit aus dem Internet so viele Daten über den Beschäftigten saugen, wie er möchte. Einzige Schranke ist hierbei, ein möglicherweise entgegenstehendes schutzwürdiges Interesse des Beschäftigten. Aha.
Wir fragen uns, erkennt ein Arbeitgeber die Grenze, was er darf und was nicht? Und inwieweit läßt sich ein schützenswertes Interesse denn im Netz schützen? Beispielsweise sucht der Arbeitgeber im Internet nach dem Namen eines Beschäftigten oder Bewerbers, so hat er keinen Einfluß darauf, was die Suchmaschine ausspuckt. Er sieht alles und kann dies nicht verhindern. Und der erste Eindruck zählt, egal ob die Bilder oder Berichte über den Beschäftigten oder Bewerber echt sind oder nur ein boshafter Scherz.
Somit ist das schützenswerte Interesse, also der Schutz der Persönlichkeitsrechte des Beschäftigten oder Bewerbers, lediglich eine hohle Phrase, denn praktisch läßt sich dies nicht umsetzen. Die Datensuche im Internet muss also verboten werden, nicht, wenn auch reglementiert, erlaubt.
Im Zweifel werden sonst wieder die Gerichte bemüht und wieder ist der Rechtsfrieden und die Rechtssicherheit gefährdet.
Das Verbot der geheimen Videoüberwachung finden wir Piraten demgegenüber gut. Wenn mögliche Gelegenheitsdiebe beispielsweise wissen, das der Laden oder auch das Lager beobachtet wird, überlegen sie es sich vielleicht anders. Für uns fällt dies unter den Punkt Prävention. Denn man darf nicht vergessen, dass eine geheime Videoüberwachung durch die Polizei nach entsprechend begründetem richterlichen Beschluss davon nicht berührt wird.
Frage GL-Aktuell: Wann wird das vorrausichtlich auf der Tagesordnung stehen?
Michael Frieser, der Hauptberichterstatter für den Beschäftigtendatenschutz der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat am 7. Januar 2013 erklärt, dass „ein solches Gesetz noch Anfang des Jahres“ verabschiedet werden soll. Kann also nicht mehr lange dauern.
Frage GL-Aktuell: Was hat sich in der Zwischenzeit dort geändert im Gesetz was verabschiedet werden soll?
Wir können nur von dem uns vorliegenden Entwurf ausgehen. Über Änderungen an dem Entwurf nach dem 25.August 2010 wissen wir nichts konkretes. Wenn ich allerdings die Antworten lese, die manche Vertreter von SPD, Linken und Gewerkschaft im vergangenen August ihrer Zeitung auf ähnliche Fragen gegeben haben, dann wurde der Gesetzesentwurf in der Zwischenzeit entweder nachgebessert oder die befragten Politiker haben den Entwurf damals nicht gelesen. Letzteres würde uns aber auch nicht wirklich wundern.
Frage GL-Aktuell Warum kommt das jetzt noch vor der Wahl?
Für uns Piraten ist das typischer Stammtisch-Populismus von CDU/CSU und FDP. 2014 wird die Datenschutzgrundverordnung der Europäischen Union kommen. Dann wird jedes Datenschutzgesetz in Deutschland und in den anderen europäischen Ländern sowieso überarbeitet werden müssen. Der Schnüffelskandal bei ALDI Süd war unter bestehendem Recht bereits illegal. Dieser Aktionismus der Regierung ist überflüssig, Zeitverschwendung und reine Propaganda.Wir hoffen auf eine Datenschutzgrundverordnung der EU, die viele Fragen und Grauzonen klärt und sowohl den Interessen der Arbeitgeber als auch der informationellen Selbstbestimmung und der Würde der Arbeitnehmer Rechnung trägt.
Gesetzesentwurf
http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetzestexte/Entwuerfe/Entwurf_Beschaeftigtendatenschutz.pdf?__blob=publicationFile
MdB Frieser 7.01.2013
http://www.michael-frieser.de/mediapool/75/756450/data/Eigene_Dateien_III/13010700_Aldi_Sued_BDSchG.pdf
GL Aktuell mit Stellungnahmen der anderen Parteien vom August 2012
https://www.glaktuell.net/?p=1033
Auch Konstantin von Notz (MdB, Grüne) lehnt den Entwurf der Union ab und teilt uns mit:
„Offenkundig geht es der Koalition noch vor den Wahlen in Niedersachsen darum, Handlungsfähigkeit zu beweisen. Anders ist die Eilvorlage zur 2. und 3. Lesung im Bundestag nicht zu erklären. Allerdings hat sie sich dabei hinsichtlich der Zustimmung bei den Gewerkschaften gründlich verkalkuliert. Denn die haben nach Durchsicht des neuen Entwurfs massive Kritik geäußert und das völlig zu Recht:
Die Koalition hat es nämlich verschlafen, nach der Einbringung bereits in 2011 und der allseitigen massiven Kritik ihre Hausaufgaben zu machen und einen sachgerechten Gesetzesentwurf vorzulegen. Stattdessen verlegt sie sich jetzt aufs Tricksen. Verdeckte Videoüberwachungen werden zurückgedrängt, offene Videoüberwachungen aber uferlos ausgeweitet. Ein Unterlaufen von Schutzstandards mittels Betriebsvereinbarung soll zukünftig nicht möglich sein. Wie großzügig! Dabei hatte allein die Koalition im Verfahren diesen im Übrigen verfassungsrechtlich fragwürdigen Vorschlages aufs Tapet gebracht. Und eine anlasslose Rasterung ganzer Belegschaften wegen Korruptionsverdachts soll angeblich nicht mehr möglich sein. Dabei kommt es faktisch zu einer Ausweitung des Rasterns, weil eine die erfassten Belegschaften hinreichend einschränkende Regelung fehlt.
Überwachungsskandale wie bei Aldi, Deutsche Bahn oder Lidl sollen nach dieser Bundesregierung legalisiert werden. So soll schon der Verdacht einer vertraglichen Pflichtverletzung ausreichen, um gegen Beschäftigte Privatdetektive loszuschicken.
Über Jahre wurde der Beschäftigtendatenschutz in den Betrieben vernachlässigt. Das Ergebnis ist oftmals ein Klima des Verdachts und der Verunsicherung. Wir haben in unserem Gesetzentwurf betont, dass nur eine umfassende Lösung die Balance zwischen Beschäftigten und Arbeitgebern wiederherstellen kann. Unser Entwurf verpflichtet deshalb die Arbeitgeberseite, die private Nutzung betrieblicher Kommunikationsmittel eindeutig zu regeln. Wir fordern ein Klagerecht für Gewerkschaften und Betriebsräte eben so wie die Mitsprache bei der Bestellung des betrieblichen Datenschutzbeauftragten. Hinweise auf Missstände in den Betrieben sind durch Whistleblowerklauseln zu unterstützen. Der Entwurf der Bundesregierung verweigert auf diese zentralen Punkte eine Antwort und wird deshalb der zentralen Aufgabe des vernünftigen Interessenausgleichs in den Betrieben nicht gerecht.“
Kritik äußert ebenfalls Jan Korte von der Linkspartei. Er nimmt zum Gesetzesentwurf ausführlich Stellung:
Wie beurteilst Du / Ihr das Gesetz?
„Dieser Gesetzentwurf geht vollkommen an den Bedürfnissen und Realitäten der Beschäftigten vorbei und dient einzig den Interessen von Unternehmern, die sich den gläsernen Mitarbeiter wünschen. Anstatt die Daten der Beschäftigten zu schützen, legalisiert der schwarz-gelbe Gesetzentwurf deren Überwachung und geht dabei zum Teil weit hinter geltendes Recht zurück. Die Koalitionsfraktionen ignorieren damit die Proteste von hunderten Betriebs- und Personalratsgremien, die zu Recht gefordert hatten, diesen Entwurf zu beerdigen. Angesichts der nun vorgelegten eher redaktionellen Änderungen stellt sich schon die Frage, warum die Bundesregierung sachverständige Experten überhaupt anhört oder sich zu Gesprächen mit Gewerkschaften trifft, wenn am Ende überhaupt nicht auf deren Kritik eingegangen wird. DIE LINKE bleibt daher dabei: keine neue Regelung wäre besser als dieser völlig verkorkste Entwurf. Eine Verabschiedung im Eiltempo muss verhindert werden. Jetzt ist breiter Protest nötig.“
Was stimmt und was stimmt nicht, was die CDU uns erzählt? Wann wird das vorrausichtlich auf der Tagesordnung stehen?
„Der bisher bekannt gewordene Zeitplan der Koalition sieht wohl so aus: Der Änderungsantrag der Koalition soll am 16. Januar im federführenden Innenausschuss beschlossen werden. Dann soll der geänderte Gesetzentwurf am 1. Februar in 2. und 3. Lesung im Eilverfahren verabschiedet werden. Da der Ausschuss am Mittwoch aufgrund der Sondersitzung „50 Jahre Elysée-Vertrag“ und einer vorher anstehenden erweiterten Berichterstatter-Runde mit dem Innenministerium zu „Polizeieinsätze im Ausland“ nicht wie sonst drei, sondern nur max. eine Stunde tagen wird, hat die LINKE schon letzten Freitag die Nichtaufsetzung bzw. Absetzung der Beschlussfassung im Innenausschuss und eine Vertagung beantragt. Ob das jedoch Erfolg haben wird, bleibt abzuwarten. Mein Eindruck ist, dass die das knallhart durchziehen und nicht länger darüber diskutieren wollen.“
Was hat sich in der Zwischenzeit dort geändert im Gesetz was verabschiedet werden soll?
„Es hat einige Änderungen am Gesetzentwurf gegeben, diese sind allerdings eher redaktioneller Art. Neben ganz wenigen Verbesserungen handelt es sich dabei überwiegend um Klarstellungen im Arbeitgeberinteresse, die nach dem Willen von Union und FDP fortan „Rechtssicherheit“ beim Ausspionieren ihrer Beschäftigten genießen sollen. Der Gesetzentwurf beinhaltet nach wie vor eine Fülle von Regelungen, durch die die Datenerhebungs-, Verarbeitungs- und Nutzungsbefugnisse der Unternehmer auf Kosten der Beschäftigten massiv ausgeweitet werden. Auch das vielzitierte und eigentlich selbstverständliche Verbot der heimlichen Videoüberwachung wäre danach nur eine Ordnungswidrigkeit und keine Straftat. Im Gegenzug würde dem Arbeitgeber u.a. erlaubt die offene Videoüberwachung unter dem Vorwand der „Qualitätssicherung“ erheblich auszudehnen, Gesundheitsdaten im laufenden Beschäftigungsverhältnis zu ermitteln und ärztliche Untersuchungen durchführen zu lassen, E-Mail- und Internet-Screenings auch ohne konkreten Tatverdacht vorzunehmen und Persönlichkeitsprofile der Mitarbeiter auf Vorrat anzulegen.“
Warum kommt das jetzt noch vor der Wahl?
„Das hat eigentlich fast alle überrascht. Nach mehr als zwei Jahren Rumgeeiere und sich nicht einigen können ist das Ganze wohl als Rettungsversuch für die FDP gedacht. Ob deren desaströse Koalitionsbilanz dadurch noch aufpoliert werden kann ist fraglich. Von Datenschützern und den Gewerkschaften wird die Koalition zu Recht abgewatscht werden. Einzig die Unternehmer werden diese Aktion honorieren und darum geht es wohl auch. Der Bürgerrechtsflügel der Liberalen ist eh seit längerem so gut wie irrelevant, wichtig für die FDP ist die Unterstützung der Wirtschaft. Für die Union, die sich in letzter Zeit gerne als „Arbeitnehmerpartei“ aufspielt, könnte diese Kriegserklärung an die Gewerkschaften aber noch Konsequenzen haben.“
Kommentar:
Aufgrund des öffentlichen Drucks ist die Koalition wohl mit Ihrem Überraschungsangriff auf den Datenschutz eingeknickt. Der aus „Dringlichkeit“ auf der Tagesordnung gewesene Datenschutz wird nun wohl weiter diskutiert werden müssen. Eine glaubhafte Veranstaltung sieht allerdings anders aus.