Der monatelange Streit um die Besetzung des Präsidentenamts am Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster entwickelt sich zu einem Skandal für die nordrhein-westfälische Landesregierung. In einem neuen Dokument erhebt ein ausgebooteter Bundesrichter schwere Vorwürfe gegen die Landesregierung und Justizminister Benjamin Limbach (Grüne). Der Bundesrichter, der ursprünglich selbst für das Amt kandidierte, beschreibt detailliert, wie er im November 2022 von Staatskanzleichef Nathanael Liminski (CDU) zur Rücknahme seiner Bewerbung gedrängt wurde.
Laut der eidesstattlichen Versicherung des Richters habe die Landesregierung sich rechtswidrig auf eine andere Kandidatin festgelegt, eine Bekannte von Justizminister Limbach. Diese habe ihr Interesse an dem Präsidentenamt bei einem privaten Abendessen mit dem Minister geäußert, obwohl sie seit Jahren nicht mehr in der Justiz tätig war. Der Bundesrichter beschreibt ein Treffen mit Liminski, bei dem dieser ihn aufforderte, seine Bewerbung zurückzuziehen, da die Grünen darauf bestanden hätten, dass eine Frau das Amt der OVG-Präsidentin übernehme.
Politische Einflussnahme statt Bestenauslese?
Die Besetzung hochrangiger Justizposten muss eigentlich nach objektiven Kriterien erfolgen. Das Bewerbungsverfahren, bei dem die „Bestenauslese“ im Vordergrund stehen sollte, scheint in diesem Fall jedoch politisch motiviert gewesen zu sein. Liminski räumte laut dem Bundesrichter ein, dass Limbach gegenüber seiner Partei „liefern“ müsse, da er vor einigen Jahren von der SPD zu den Grünen gewechselt war.
Die neue eidesstattliche Versicherung des Bundesrichters widerspricht zudem in wesentlichen Punkten einer Erklärung, die Justizminister Limbach selbst beim OVG eingereicht hatte. Limbach bestreitet darin jede Vorfestlegung auf seine Bekannte und erklärt, dass er dem Bundesrichter nie gesagt habe, dass die Kandidatin im Bewerbungsverfahren bevorzugt werde. Sollte einer der beiden Juristen eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben haben, könnten strafrechtliche Konsequenzen folgen.
Verfassungsgericht kippt Auswahlentscheidung
Bereits im August hatte das Bundesverfassungsgericht die Auswahlentscheidung der Landesregierung für das Präsidentenamt am OVG aufgehoben. Es kritisierte, dass das Bewerbungsverfahren möglicherweise manipuliert worden sei. Die Angelegenheit wurde an das OVG zurückverwiesen, wo nun erneut geprüft werden muss, ob tatsächlich eine unzulässige Vorfestlegung des Justizministers gegeben war.
Untersuchungsausschuss startet
Angesichts der brisanten Entwicklungen hat der Landtag einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, der ab Montag Zeugen vernehmen wird. Besonders interessant werden die Aussagen von Beamten des Justizministeriums sein, die an dem Besetzungsverfahren beteiligt waren. Der Ausschuss hat gerichtsähnliche Befugnisse und kann Zeugen unter Wahrheitspflicht befragen, was für den weiteren Verlauf des Verfahrens entscheidend sein könnte.
Da das OVG bislang keine öffentliche Verhandlung angesetzt hat, könnte am Ende erneut das Bundesverfassungsgericht gefordert sein, um in dieser Affäre ein abschließendes Urteil zu fällen.